Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik e.V.

Insitut für Weiterbildung und Forschung in Psychoanalytischer Pädagogik und Sozialer Arbeit

15. Fachtagung (2013): Neue Störungsbilder – Mythos oder Realität

Samstag, 16. November 2013

  1. November 2013 – Infoblatt zum downloaden

Regelverletzungen, Verweigerungen und Aggressionen bestimmen in manchen Schulklassen und Einrichtungen der Jugendhilfe den pädagogischen Alltag. Viele PädagogInnen und SozialarbeiterInnen haben den Eindruck, dass sie es in ihren jeweiligen Arbeitsfeldern zunehmend mehr mit stärker – oder anders – gestörten Kindern und Jugendlichen zu tun haben.

Haben psychische Auffälligkeiten wirklich zugenommen? Sind neue Störungsbilder entstanden, die die Professionellen stärker an ihre Handlungsgrenzen bringen? Die Häufung von Diagnosen wie ADHS, Asperger-Syndrom, Bipolare Störung oder DMDD könnte diesen Eindruck bestätigen. Oder aber sind die immer weiter fortschreitenden Ausdifferenzierungen der klinischen Kategorisierungssysteme wie DSM oder ICD selbst das Problem, indem sie die Tendenz zur zunehmenden Pathologisierung abweichenden Verhaltens verstärken? Welche Rolle spielen sensiblere Wahrnehmungen und die Berichterstattungen in den Medien bei diesem Prozess?

Wissenschaftlich ist umstritten, ob es tatsächlich eine quantitative Zunahme psychischer Auffälligkeiten gibt und wie sich diese qualitativ verändert haben könnten. Die Erfahrungsberichte aus der pädagogischen Praxis betonen hingegen überwiegend, dass Störungen mit gravierenden Äußerungsformen sich vermehrt ausbreiten. Aus dieser Kontroverse resultieren viele Fragen, denen auf der Tagung nachgegangen wird. Die Entwicklung psychischer Auffälligkeiten im Kindes- und Jugendalter soll auf dem Hintergrund der Psychoanalytischen Pädagogik genauer betrachtet werden. Dabei geht es nicht nur um aktuelle Störungsbilder und mögliche pädagogische Haltungen und Interventionen, sondern auch um gesellschaftliche Veränderungen im Blick auf Kinder und Jugendliche.

 

Programm

08:30  Öffnung des Tagungsbüros
09:00  Eröffnung und Begrüßung; Moderation der Tagung: Prof. Dr. Annelinde Eggert-Schmid Noerr

09:15-10:30 PD Dr. Martin Dornes: Haben psychische Störungen zugenommen?

10:30-11:00  Kaffeepause

11:00-12:15  Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke: “Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?” – Veränderte Identitätsentwicklung heute

12:15-13:30  Horst Nonnenmann / Birgit Wieland: “Ihr sollt meine Diener sein!” – Psychoanalytische Sozialarbeit im Therapeutischen Heim anhand von    Fallvignetten

13:30-15:00  Mittagspause

15:00-17:00  Arbeitsgruppen

17.15  Plenum

18:30  Abendessen: Uni-Gästehaus (Frauenlobstraße 1)

 

Arbeitsgruppen:

AG 1 Cornelia Claus-Divaris
Verändern sich Störungsbilder von Kindern und Jugendlichen? Betrachtungen aus der Sicht von MitarbeiterInnen einer Kinder- und Jugendpsychiatrie

AG 2 PD Dr. Martin Dornes (wegen Krankheit ausgefallen)
AG zum Vortrag

AG 3 Dr. Cordelia Fertsch-Röver-Berger
Schulabsentismus – wer oder was bleibt hier wem oder was fern?
Die Vielfalt der möglichen Ursachen, die dazu führen, dass eine Schülerin bzw. ein Schüler der Schule fernbleibt, soll vorgestellt und der Zusammenhang mit institutionellen und gesellschaftlichenBedingungen erörtert werden.

AG 4 PD Dr. Urte Finger-Trescher
Neue Störungen und Migration

AG 5 Prof. Dr. Manfred Gerspach
Neues und Altes vom Zappelphillipp
Bei 600 000 Kindern wird in Deutschland ADHS diagnostiziert, Tendenz weiter zunehmend. Landesweit stieg der Verbrauch des Wirkstoffes Methylphenidat zwischen 1993 und 2010 von 34 kg auf 1,8 Tonnen um das 52-fache an. Man schätzt, dass in Deutschland 250 000 Kinder Medikamente wie Ritalin nehmen, weltweit liegt die Anzahl medikamentös behandelter Kinder bei weit über zehn Millionen. Je niedriger die soziale Schicht ist, der Kinder und Jugendliche angehören, desto höher ist die Anzahl der gestellten ADHS-Diagnosen. Weitgehend unbeachtet bleibt, dass wir keine einheitliche Gruppe Betroffener vorfinden und sich im gezeigten Verhalten womöglich eine von Konflikten getragene subjektive Befindlichkeit sinnhaft artikuliert. Dieser Frage eines Verstehens und der daraus abzuleitenden pädagogischen Antworten soll nachgegangen werden

AG 6 Jochen Kabel / Cornelia Layer
Vom Gesehenwerden und Verschwinden.Aus der heilpädagogischen Arbeit mit einem 17-jährigen Jugendlichen und seiner Mutter

AG 7 Dr. med. Hans von Lüpke
Ohnmächtige Wut – neue Formen von Auffälligkeitauf dem Hintergrund von „Ratgeber“-Erziehung
Moderne, um ihre Kinder bemühte Ratgeber-orientierte Eltern können zu jenen Eltern werden, die eine ambivalent-unsichere Bindung mit ihren Kindern entwickeln, da sie für diese zu wenig authentisch verfügbar sind. Mit Wut oder vorgeblicher Hilflosigkeit versuchen diese, ihre Eltern und ihr weiteres Umfeld (Schule!) zu manipulieren und sich damit ihre Orientierung selbst zu schaffen. Wechselseitige Eskalationen sind die Folge. Die neue Entwicklung der Krankheitsklassifikationen verschleiert solche interaktiven Zusammenhänge und verortet die Probleme zunehmend in den Kindern als deren Störung. Dies verstärkt die Eskalation zusätzlich. Es gilt diesen Teufelskreis zu durchbrechen.

AG 8 Horst Nonnenmann / Birgit Wieland
AG zum Vortrag

AG 9 Klaus Richter
“Asperger – oder was?” – Probleme von und mit einem achtjährigen Jungen
In der AG wird ein verhaltensauffälliger, achtjähriger Junge vorgestellt. Er wurde über drei Jahre im Rahmen einer sozialpädagogischen Familienhilfe ambulant betreut. Bereits im Kindergarten wurde von einer Sonderpädagogin der Verdacht auf Asperger-Autismus geäußert. In der Grundschule setzten sich die Verhaltensauffälligkeiten unvermindert fort. Im dritten Schuljahr beschreibt die Schule: Sozialverhalten fünf, Arbeitsverhalten fünf, Sport, Kunst, Mathe ebenfalls fünf. Im Unterricht nicht tragbar, blockiert, stört, provoziert, ist extrem unruhig, emotional überfordert, geistig abwesend, Arbeitsmaterial chaotisch, bemalt sich, malt erschreckende Bilder voller Gewalt und Sex, sticht anderes Kind mit Bleistift, keine sozialen Kontakte. Fazit: nicht beschulbar! Was hat er? Was braucht er? Wie kann ihm geholfen werden? Vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der ambulanten Betreuung des Jungen sollen diese Fragen in der AG diskutiert werden.

AG 10 Prof. Dr. Inge Seiffge-Krenke
AG zum Vortrag

AG 11 Christine Tomandl
“Gib mir ein kleines bisschen Sicherheit” (Songtext Silbermond) – Aus dem Rudolf Ekstein Zentrum Wien – Sonderpädagogisches Zentrum für Integrative Betreuungsformen der Wiener Psychagoginnen und Psychagogen
Hyperaktiv, gestört, traumatisiert, depressiv, vernachlässigt, Kinder erzählen mit ihrer Symptomatik ihre Geschichte, manchmal laut, manchmal leise, jedenfalls als Versuch, gehört und verstanden zu werden. Die Bedeutung von helfenden Beziehungserfahrungen dieser Kinder wird an Hand von Fallvignetten aus dem Arbeitsfeld der kontinuierlichen Einzelfallbetreuung des Rudolf Ekstein Zentrums dargestellt und diskutiert.

 

Zusatz AGs:

Prof. Dr. Annelinde Eggert-Schmid Noerr:
Zum pädagogischen Umgang mit Verhaltensstörungen

Dr. Heinz Krebs
Kommunikationsstörungen in der Familie